Fastenpredigt

Hier können Sie die Predigt anhören:

Heute, am 1. Fastensonntag, entführt uns das Evangelium in die Wüste. Wahrscheinlich wollen wir da gar nicht hin. Die Oasen wären uns wohl lieber. In den Oasen lebt es sich bequemer – unter Palmen, im Grünen, mit Früchten und frischem Wasser. Da hat man reichlich, was man braucht. Da ist man glücklich und zufrieden – und freut sich seines Lebens! 

Wir brauchen lange Oasenzeiten in unserem Leben. Aber zwischendurch brauchen wir auch manchmal die Wüste! Vergnüglich ist es da nicht! Stellen Sie sich eine Quarantänezeit zuhause vor: nicht eine Woche, sondern einen Monat lang – und zwar ohne Ablenkung, ohne Handy und TV. Sie sind ganz auf sich gestellt, müssen es mit sich selber aushalten. Eine schwierige Wegstrecke des Lebens, und man hofft, dass sie schnell zu Ende geht.

Wüste – das ist Alleinsein und Hunger und Durst und Unruhe und Sehnsucht und Fremde. „Ich krieg die Krise“, sagen wir manchmal. Aber vielleicht entsteht da etwas Neues in uns, vielleicht reifen wir! Wüste, das ist: In der langen Zeit und Langeweile sich selber ganz anders erfahren. Seine Grenzen überdeutlich spüren. Und in all dem möglichweise auch Gott näherkommen. Das Leben von einer anderen Seite her, in seiner Tiefe spüren.

Das schaffen die Oasen nicht. In der Oase lebt man in seinen Gewohnheiten, in der Routine, im guten Alltag, – auch im Alltag des christlichen Lebens. Man spricht sein Gebet und geht in die Kirche – aber eine „Erschütterung“, eine „Erleuchtung“, eine „Umkehr“ geht anders!

Die Religionen stammen eher aus der Wüste – siehe Mose, siehe Jesus, siehe Mohammed; sie alle atmeten Wüstenluft. Um Gottes willen zog es sie in die Wüste. Oder, wörtlich im Evangelium: „Jesus wurde vom Geist in die Wüste geführt.“ Ein Magnet ist im Spiel: und das ist der Geist Gottes, der ihn dorthin zieht. Jesus geht damit den Weg seines Volkes. Das ist vierzig Jahre lang mit Mose in der Wüste herumgeirrt, murrend und schimpfend wegen der Härte des Wüstenlebens, ehe es sich im Gelobten Land, in Israel niederlassen konnte. Die vierzig Tage Jesu in der Wüste nehmen sich dagegen ziemlich bescheiden aus!

Das Volk Israel hat damals die Wüstenzeit wie eine große Entziehungskur erlebt. „In der Wüste steht nicht an jeder Düne eine Pommesbude und schon gar kein Getränkeautomat,“ schreibt sehr anschaulich der geistliche Schriftsteller Andreas Knapp, der auch seine Wüstenzeiten hatte. Nein, die Wüste ist so ziemlich das Gegenteil unserer aktuellen Welt! Kein Konsumparadies, keine Komfortzone, nicht unterhaltsam, nicht abwechslungsreich. Aber sie ist eine „Schule der Freiheit“. Hier kann man lernen, sich nicht mehr gehenzulassen, sondern selbst zu gehen. Man lernt Abstand, Verzicht, Sinn für das Wesentliche. Man übt sich ein in das, was wirklich zählt. Es ist so still, dass man die leise Stimme seines Gewissens gut hören kann. In der Schule der Wüste lernt man, seinen Weg mit Gott zu gehen.

Ich denke, unsere Kirche muss gerade durch eine solche Wüstenzeit hindurch. Es scheint so, als würde Gott auch uns heute eine Entziehungskur, eine „Läuterung“, eine „Durststrecke“ verordnen. Gott führt uns in die Wüste, führt uns in eine karge Fasten- und Bußzeit der Kirche. Glanz und Gloria sind vorbei. Volle Häuser und volle Kassen ebenso. Viele Menschen gehen weg. Der Geist ruft uns, ganz ehrlich und nüchtern und klarsichtig zu sein. Er ruft die ganze Christenheit zur Umkehr, ruft uns wieder hin zum Evangelium. Die „eiserne Ration“ dafür ist das Vertrauen in Gott. Er kann und wird die leeren Hände füllen, wenn wir sie ihm nur offen hinhalten. Dann dürfen wir aber nicht nur auf unsere eigenen Pläne, Lieblingsideen und Vorhaben starren.

Keiner kennt den Weg in die Zukunft. Auch Abraham, der Vater des Glaubens, kannte ihn damals nicht. Aber er fing an zu gehen, und Gott ging mit. Gott war wie das Navi, der Kompass. Das Altvertraute war nicht in das Navi eingegeben. Abraham musste suchen, musste die „Zeichen der Zeit“ erkennen, durch die Gott auch heute zu uns spricht. 

Schmerzhaft ist die Schule der Wüste. Denn in dieses Alleinsein und in diese Krise kommt auch der Versucher. Das Böse. Biblisch gesprochen: der Teufel. Ein Hin und Her also zwischen dem Gottesgeist und dem Teufel. Man mag diese beiden Gegenspieler auch anders nennen, aber ihre Kräfte sind bis heute am Werk – auch in uns. Sie ziehen uns hin und her, wenn wir uns entscheiden müssen und es um wichtige Dinge geht. Der Geist lässt uns aufschauen, richtet uns auf, zieht uns „nach oben“, ermutigt uns und macht uns gerade. Die Gegenkraft zieht uns herunter, macht uns nieder, nimmt uns die Zuversicht und heißt darum in der Bibel „diabolos“, Teufel, diabolische Macht: Der, der alles verwirrt und durcheinanderbringt. Der, der unsere Herzen spaltet, so dass wir kaum noch „mit ganzem Herzen“ handeln.

Nach einem Beispiel dafür brauchen wir nicht lange zu suchen. Wir erleben, wie Wladimir Putin in seinem Wahn die teuflische, diabolische Rolle voll ausfüllt. Wie kommt einer darauf, den Krieg und den Tod und die Flucht von Millionen und möglichweise selbst einen Atomschlag zu wollen?
Wir ahnen, wie der Teufel wirkt.

Aber wir erleben auch den Gottesgeist. Der kleine David – Selenskyj – gegenüber dem Riesengoliath mit seinen Waffen. Der Mut eines Volkes. Die unglaubliche Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft so vieler – gerade in Polen. Eine Einigkeit, ein Wille, am selben Strang zu ziehen, wie man ihn in der Politik Europas gar nicht mehr kannte. Starke Gefühle – vor allem die Angst –, große Nachdenklichkeit, viele Gebete, die richtigen Taten.

Der Krieg – wie eine Wüste. Die Verwüstungen sind voll im Gang. Ein Kampfplatz zwischen der blinden Macht und denen, die als freie Menschen – menschlich – leben wollen.

So ähnlich wird im heutigen Evangelium erzählt. Der listige Versucher nimmt drei Anläufe, um Jesus „rumzukriegen“. Steine zu Brot. Stürz dich hinab von der Zinne des Tempels. Und dann, am wichtigsten: der Teufel bietet Jesus wie auf einem Silbertablett alle Macht dieser Welt an: „Alle Reiche der Welt sind dein, alle Macht und alle Herrlichkeit. Das alles soll dir gehören, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest.“ 
Jesus antwortet kurz und knapp: „Es steht geschrieben: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.“

Wir sind heutzutage Zeugen, wie absolute Macht absolut korrumpiert, wie sie ein Werk des Teufels ist. Und wie der Glaube an Gott, den wirklichen Herrn, davor bewahren kann.

Die Frage an uns heißt: Wer ist der Herr meines Lebens?

Wie brisant diese Frage ist, habe ich am deutlichsten erlebt auf einer Reise nach Sizilien; die Dechanten des Bistums Essen waren mit dem damaligen Bischof Genn dort unterwegs. Wir besuchten Palermo mit dem armen Stadtteil Brancaccio. Da hatte früher ein sehr mutiger Pfarrer gewirkt, Don Pino Puglisi. Er war 1993 ermordet worden, von der Mafia, die diesen Stadtteil ganz im Griff hatte. Man erzählte uns dort, wie Pino Puglisi Kommunionunterricht gegeben hatte. Auch die Kinder der Mafiosi waren dabei, als der Priester ihnen sagte: „Ihr müsst euch entscheiden – entweder Gott oder Mafia! Entweder – oder! Beides zusammen geht nicht! Man kann nicht zwei Herren dienen!“ Eine eindringlichere und mutigere Kommunionvorbereitung kann man sich kaum vorstellen! Das war wie Sprengstoff in Brancaccio, das war Christentum in einem Satz – und das war gefährlich, lebensgefährlich. Wegen solcher Sätze und Taten wurde der Pfarrer von der Mafia erschossen. 2013 hat die Kirche ihn seliggesprochen – als Märtyrer. Als einer, der vor den Mächtigen niemals auf die Knie ging, sondern nur vor Gott. Als einer, für den Gott ganz in der Mitte stand – und nicht unter „ferner liefen“.

Liebe Gemeinde, auch Jesus ist den Versuchungen nicht erlegen. Er ließ sich vom Vater nicht abbringen. Er probierte nicht seine Wundermacht oder seine eigene Bedeutung aus, sondern sein Vertrauen in den Vater. Die Wüste zerstörte ihn nicht. Und von dieser Ouvertüre an wurde er der, der er noch heute für uns ist. Der Mensch-für-andere, für den Vater und für uns. Der Sohn Gottes.

Johannes Broxtermann

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